KLASSIK
C D s
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NEUES AUS
DER MUSIKWELT
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Johann Sebastian Bach
BRANDENBURGISCHE KONZERTE
Concetto Köln
Berlin Classics/Edel 2 CDs
(89’)
Innerhalb von w eniger als einem
Jahr die dritte Hochglanzproduktion
der sechs „Brandenburgischen Kon-
zerte“ - braucht man das? Ja, wenn
die Interpretationen so unterschied-
lich sind wie diejenigen der Hofka-
pelle München, des Freiburger Ba-
rockorchesters und jetzt von Con-
certo Köln. Während die Münchner
unter Rüdiger Lotter auf prominen-
te Solisten und virtuose Brillanz des
Concertino setzen, sind die beiden
anderen Interpretationen auf Integ-
ration des Gesamtensembles aus.
Wie schon das Freiburger Barockor-
chester Anfang des Jahres, so setzt
auch Concerto Köln auf den franzö-
sischen Stimmton von
3 9 2
Hz und
folgt damit der Argumentation von
Siegbert Rampe, der geschrieben
hat, dass diese Stimmung zu Bachs
Köthener Dienstzeit auch am dorti-
gen Hof gebräuchlich war. Rampes
Einspielung mit La Stravaganza hat-
te vor
2 0
Jahren genau wegen dieser
Entscheidung eine heftige Kontro-
verse ausgelöst. Dass sich nun mit
Concerto Köln innerhalb kürzester
Zeit gleich ein zweites prominentes
Barockorchester für diese Lösung
entscheidet, spricht für sich.
Es ist vor allem die Trompete im
zweiten Konzert, die durch die tie -
fere Stim mung klanglich erheblich
leichter zu integrieren ist. Über-
haupt sind die Kölner vehem ent
daran interessiert, dem m utm aß-
lich originalen Klang der sechs Kon-
zerte möglichst nahe zu kommen.
Aus diesem Grund wurde nicht nur
der Nachbau eines mitteldeutschen
Cembalos für den anspruchsvollen
Solopart des fünften Konzerts ge-
w ählt, sondern es wurden eigens
für diese Produktion Echoflöten
gebaut, wie Bach sie in der Parti-
tu r ausdrücklich fordert. Diese
Instrumente konnten nur nach his-
torischen Zeichnungen rekonstru-
iert werden, da keine originalen Vor-
bilder erhalten sind. Der Aufwand
hat sich jedoch gelohnt, denn in die-
ser Einspielung lassen sich die dy-
namischen Effekte des Mittelsatzes
ohne technische Tricks realisieren.
Wie sehr Concerto Köln den En-
semble-Gesamtklang in den Fokus
nim m t, wird nicht zuletzt im ers-
ten Konzert deutlich, wo die beiden
Hörner selten so klar in den Vorder-
grund treten wie man es vom Gros
der Alternativaufnahm en kennt.
Dass trotzdem die Brillanz der In-
strum entalisten nichts zu w ün-
schen übrig lässt, versteht sich bei
einer Truppe von ihrem Kaliber von
selbst. Die Virtuosität sowohl der
einzelnen Musiker als auch des Kol-
lektivs gestattet eine forsche Tem-
powahl in den schnellen Sätzen, de-
nen ein ausdrucksstarkes, an mu-
sikalischen Gesten reiches Spiel in
den langsamen im wirkungsvollen
Kontrast entgegensteht.
Jede Zeit, so sagt man, habe ih-
re eigenen musikalischen Sichtwei-
sen. Die drei genannten Einspielun-
gen der „Brandenburgischen Kon-
zerte“ repräsentieren die unsere,
und es wird deutlich, wie vielsei-
tig selbst vermeintliches Standar-
drepertoire eingespielt werden
kann, seit sich die historisch infor-
m ierte Aufführungspraxis aus den
Zwängen des Dogmatismus gelöst
hat. Concerto Köln zeigt, dass sich
die erste Liga der Barockorchester
keineswegs damit begnügen muss,
ausschließlich Schatzgräber-M en-
talität zu kultivieren.
Arnd Richter
MUSIK ★ ★ ★
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KLANG ★ ★ ★
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P U R E
*
M U S S O R G S K Y
M odest Mussorgsky
BILDER EINER AUSSTELLUNG U. AT
Elena Pankratova, Andrej Hoteev
Betlin/Edel CD
(64')
Der Pianist und Musikwissenschaft-
ler Andrej Hoteev hat in den Archi-
ven von St. Petersburg die Origi-
nal-M anuskripte von Mussorgskys
„Bildern einer Ausstellung“ und den
„Liedern und Tänzen des Todes“
ausgegraben. Beide M anuskripte
weisen zahlreiche Abweichungen
zu den bisher gebräuchlichen Aus-
gaben auf, welche Hoteev im Book-
let zu der Aufnahme im Detail und in
zahlreichen Abbildungen darstellt.
Diese Abweichungen haben nach
seiner Auffassung im Fall der „Bil-
der“ ihre Begründung darin, dass
der Zyklus erst fünf Jahre nach M us-
sorgskys Tod von dessen Freunden
- Rimskij-Korsakow, Glasunow und
Stassow - herausgegeben worden
sei, die den „Autodidakten“ oftmals
in gutem Glauben korrigiert und so
beispielsweise auch manch moder-
ne Harmonik elim iniert hätten.
Man muss schon sehr genau auf-
passen, um die zahlreichen kleinen
Textänderungen aus dem dichten
G esam tsatz herauszuhören. Was
hingegen viel stärker ins Ohr fällt,
sind die teilweise anderen Pedali-
sierungen und Artikulationen, die
manchen Satz im neuen Licht zei-
gen, sowie Hoteevs Tempi: Er betritt
die Ausstellung in der eröffnenden
„Prom enade“ deutlich langsam er
als üblich und hält diese Tendenz
zur verdeutlichenden Langsamkeit
durch. Das Erstaunliche dabei: Er
nim mt den „Bildern“ dadurch kei-
neswegs ihre expressive Kraft. Sein
Spiel besitzt Dynamik, Farbenreich-
tum und Intensität.
Bei den Liedern kommt noch hin-
zu, dass Hoteev mit Elena Pankra-
tova einen dramatischen Sopran ge-
funden hat, der nicht nur aufgrund
eines enormen Stim mumfangs alle
vier Lieder in den ursprünglich no-
tierten Tonarten singen kann, son-
dern dieses auch mit großer Aus-
druckskraft vollbringt.
Gregor Willmes
MUSIK ★ ★ ★
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KLANG ★ ★ ★
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Diverse Kom ponisten
PARIS
/,J
Alison Balsom, The Guy Batkct Orchestra
Warnet CD____________________________(52]
Die Britin Alison Balsom hat in den
vergangenen zw ölf Jahren im Lau-
fe ihrer bem erkenswerten Karriere
Publikum und Fachwelt gleicher-
m aßen begeistert. M it beharrli-
cher Konsequenz erarbeitete sie
sich ein alle Epochen um fassen-
des Repertoire, das sie stets auch
auf CD souverän mit Brillanz doku-
m entierte. Dabei herausragend die
beiden
2 0 1 2
erschienenen Silber-
linge „Seraph“ mit Werken von un-
ter anderen B. A. Zimmermann, Aru-
tiunian und Takemitsu sowie „Kings
& Queens“ mit Stücken von Pur-
cell und Händel. Balsom überzeug-
te bei „Seraph“ m it allen techni-
schen Finessen, die M oderne und
Neue M usik zu bieten haben, w äh-
rend sie bei „Kings & Queens“ auf
der ventillosen Naturtrom pete Tre-
vor Pinnocks Originalklangspezia-
listen von The English Concert im
W ortsinne alt aussehen ließ. Da-
mit war zunächst das ohnehin nicht
reichhaltige Trom petenrepertoire
ausgeschöpft.
M it der vorliegenden Produktion
„Paris“ möchte Balsom die fran-
zösische M usik au f ihre Art ent-
decken. Herausgekommen ist ein
bunter M elodienstrauß bearbeite-
ter Stücke wie Saties „Gymnopé-
die Nr.
3
“, Piazzollas „Café
1 9 3 0
“,
dem zweiten Satz aus Ravels Kla-
vierkonzert in G, einem Satz aus
Messiaens Klavierzyklus „Vingt re-
gards sur l’enfant-Jésus“, aber auch
Kosmas „Les feuilles m ortes“ und
Django Reinhardts „Nuages“. Bal-
som erweist sich dabei wiederum
als brillante Solistin, die zudem sti-
listisch von „E“ bis „U“ alle Facet-
ten abdeckt. Völlig indiskutabel er-
scheint daneben das Guy Barker
Orchestra, welches zur Begleitung
von Balsoms Trompetenschmelz ei-
nen ungenießbaren Zuckerguss lie-
fert, der die musikalische Vielfalt
des Programms gnadenlos zukleis-
tert.
Holger Arnold
140 STEREO 11/2014
★ ★ ★ ★ ★ hervorragend I ★ ★ ★ ★ sehr gut I ★ ★ ★ solide I ★ ★ problem atisch I ★ schlecht